Fehlende Attraktivität und Abwärtsspirale

Herrenberg: Nico Reith beteiligt sich an Brief von Oberbürgermeistern gegen die Gäubahn-Kappung.

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Die Kappung der Gäubahn ist auch eine Frage des Zeitplans, wann der Tiefbahnhof in Betrieb gehen wird. GB-Foto (Archiv): Schmidt

Die Kappung der Gäubahn ist auch eine Frage des Zeitplans, wann der Tiefbahnhof in Betrieb gehen wird. GB-Foto (Archiv): Schmidt

Am morgigen Mittwoch, 20. März, soll der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn über den Stuttgart-21-Inbetriebnahmezeitplan entscheiden: Wird es eine Teilinbetriebnahme im Dezember 2025 geben oder die Aufnahme des Zugbetriebs gänzlich um ein bis zwei Jahre verschoben? Sieben Oberbürgermeister, darunter auch Nico Reith aus Herrenberg sowie sein Böblinger Kollege Dr. Stefan Belz, haben sich nun in einem Brief an Olaf Drescher, Vorstandsvorsitzender der DB Projekt Stuttgart–Ulm GmbH, gewandt.

Wenig überrascht zeigen sie sich darin, dass der als „Allheilmittel“ für die Gäubahn angedachte Pfaffensteigtunnel bis auf Weiteres kaum Chancen auf Realisierung habe. In Deutschland in weniger als zehn Jahren einen über zehn Kilometer langen Tunnel zu planen, zu genehmigen, zu finanzieren und zu bauen, „klang doch sehr märchenhaft“, schreiben die Oberbürgermeister. Für sie als Gäubahn-Anlieger bedeute dies nun, dass den Städten und Gemeinden entlang der Strecke die befürchtete, noch längere Abhängung von der Landeshauptstadt und vom weiteren Fernverkehr fast schon Realität ist. „Bereits die bisher stets angedachten mindestens sieben, real eher zehn Jahre wären für die Akzeptanz des Schienenverkehrs in unserer Region verheerend gewesen. Nun sieht es so aus, als ob wir damit auf Dauer leben müssten“, heißt es weiter.

„Dies ist nicht nur unfair, nicht nachzuvollziehen und lästig, es gefährdet langfristig auch die Gäubahn als Fernverkehrsstrecke“, monieren die Oberbürgermeister um Nico Reith. Die zu erwartenden sinkenden Fahrgastzahlen dürften dazu führen, dass die dringend nötigen Ausbauten und Optimierungen auf die lange Bank geschoben würden, befürchten sie. Die Folge sei ein weiterer Verlust an Attraktivität – es drohe eine Abwärtsspirale. „Es ist erschreckend, wie unverantwortlich mit einer internationalen Bahnverbindung und deren Anliegern und Fahrgästen umgegangen wird“, kritisieren daher die Oberbürgermeister, die auch in Zukunft eine Direktverbindung zum Stuttgarter Hauptbahnhof haben wollen.

Weshalb sie keine Kappung ohne Alternative akzeptieren wollen. Damit sind sie nicht alleine, zeitgleich setzen sich auch das Pro-Gäubahn-Bündnis sowie der ökologische Verkehrsclub VCD für den Erhalt der Gäubahn-Panoramastrecke bis zum Stuttgarter Kopfbahnhof ein. Sie erachten die angegebenen Kosten für den Pfaffensteigtunnel als ebenso unseriös wie jene zu Stuttgart 21. Dem Preisstand aus dem Jahr 2015 zufolge solle der Tunnel 919 Millionen Euro kosten – der ähnlich lange Offenburger Tunnel der Rheintalbahn, der sich derzeit auch in der Planung befindet, war ursprünglich mit 1,2 Milliarden kalkuliert und später mit 3,8 Milliarden veranschlagt worden. „Somit ist für den Pfaffensteigtunnel realistischerweise mit rund drei Milliarden zu rechnen“, rechnet das VCD-Landesvorstandsmitglied Gero Treuner vor.

Gewonnene Zeit nutzen
für ein kritisches Hinterfragen

Die Oberbürgermeisterrunde spricht sich daher gegen eine Kappung der Gäubahn aus, so lange der Pfaffensteigtunnel nicht planfestgestellt und vertraglich abgesichert sei sowie im Bundeshaushalt enthalten und beschlossen ist. Gleichzeitig sehen sie „in den immer deutlicher werdenden Problemen“ auch eine „große Chance“: Da neben dem Pfaffensteigtunnel auch der Tiefbahnhof Stuttgart 21 aus dem Zeitraster zu rutschen scheint, hinterfragen die Oberbürgermeister, „ob es wirklich sinnvoll und realistisch ist, den oberirdischen Kopfbahnhof bereits 2025 außer Betrieb zu nehmen“. Dies setze schließlich einen voll funktionsfähigen Tiefbahnhof voraus.

„Man sollte und muss die dadurch gewonnene Zeit dafür nutzen, nochmals kritisch zu hinterfragen und klären, ob der dauerhafte Verzicht auf einen oberirdischen Bahnhof vor dem Hintergrund langfristig hoffentlich deutlich steigender Fahrgastzahlen wirklich sinnvoll ist“, heißt es darüber hinaus in dem Schreiben an Olaf Drescher. Mit ihren Forderungen seien die Oberbürgermeister nicht alleine, sondern bewegen sich „Seite an Seite mit den Ausführungen des Interessenverbandes Gäu-Neckar-Bodensee-Bahn (IV GNBB)“. Auch aus Sicht des Pro-Gäubahn-Bündnisses und des VCD sei es „zwingend erforderlich“, die bestehende Gäubahn-Anbindung an den Kopfbahnhof bis zur tatsächlichen Realisierung einer Alternative zu erhalten. „Alles andere wäre ein Schildbürgerstreich“, schließen diese ihr eigenes Schreiben. -gb-

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Erstellt:
19. März 2024

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