„Auch das Unaussprechliche darf sein“
Gäubote“-Weihnachtsaktion: „Kinder.Leben.Abschied“ ist auch das Thema der Expertin für Trauerpsychologie Alexandra Eyrich, die im Interview mit unserer Zeitung für menschliche Nahbarkeit trotz aller notwendigen Professionalität eintritt.
Lesedauer: ca. 3min 37sec„Gäubote“: Wie redet man am besten mit Kindern über den Tod?
Alexandra Eyrich: „Offen, ehrlich und so impulsgebend, dass die Kinder Fragen stellen können. Es gab Zeiten, da hat man gesagt, die Kinder sollen mit den Fragen kommen und dann kann man sie beantworten. Aber man muss ihnen schon auch Impulse geben, damit sie überhaupt auf die Idee kommen, Worte zu finden für das, was sie wissen wollen.“
Man sagt: Kinder trauern anders. Was ist anders und welche Rolle spielt dabei das Alter?
„Ich würde das als Frage formulieren. Trauern Kinder wirklich anders? Ich denke, Kinder trauern – wie jeder Mensch – unterschiedlich. Was es anders macht, hängt entwicklungspsychologisch gesehen vom altersspezifischen Todesverständnis ab. Wie bei Erwachsenen gibt es auch Kinder, die ihre Gefühle mehr zeigen, andere sind eher am Denken und Überlegen, die nächsten handeln überwiegend und wieder andere vermeiden oder verdrängen ihre Gefühle sogar. Diese Tendenzen lassen sich bei Menschen egal welchen Alters feststellen.“
Ihre Herangehensweise an die Trauerarbeit ist aber doch altersabhängig?
„Ja natürlich, schon allein durch die Sprache. So muss ich bei jüngeren Kindern meine Sprache herunterbrechen, die Sessions sind viel kürzer und viel spielerischer. Ich muss da sehr komprimiert arbeiten, um im Konzentrationsspektrum der Altersgruppe zu bleiben. Auch die kognitiven und emotionalen Herausforderungen des jeweiligen Entwicklungsstands beziehe ich mit ein.“
Ein Kleinkind hat noch keine Vorstellung vom Tod, erlebt den Verlust aber trotzdem. Wie geht man damit um?
„Auch kleine Kinder wissen, was es heißt, traurig zu sein. Das beginnt bereits bei den unter Dreijährigen. Wenn ein anderes Kind weint, versuchen sie es zu trösten. Auch Atmosphären, Stimmungen nehmen sie sehr bald wahr. Wenn es über Sprache schwierig ist, gibt es andere Möglichkeiten – etwa Bilderbücher oder Spielmaterial – um ins Thema so einzusteigen, dass sie mitgehen können. Oder man sucht etwas aus, von dem man weiß, dass sie das mögen. Wenn ein Kind beispielsweise Harry-Potter-Fan ist, kann man das als Brücke benutzen.“
Welche Rolle spielen Rituale in Ihrer Arbeit?
„Rituale sind etwas sehr Wertvolles und Wichtiges. Sie geben dem Ganzen einen Rahmen, eine Struktur, eine Bühne für die Gefühle, die da sein müssen. Aber der Kern der Trauerbegleitung wird durch Rituale nicht abgebildet. Sie sind vielmehr Ergänzungen, Hilfestellungen und Schwellenmomente, die die emotionalen „Nadelöhre“ auf anderen Ebenen ins Bewusstsein rücken und zum Verständnis und Verarbeiten beitragen können.“
Was ist bei einer Trauerbegleitung durch Ehrenamtliche wichtig? Worauf sollten sie achten, welche Hilfestellung können sie geben?
„Sie können die Kinder aktiv beteiligen, sie aufklären, so dass sie das, was passiert, auch begreifen können. Den Gefühlen den nötigen Raum geben – auch das Unaussprechliche darf sein. Wichtig ist auch, die Eltern oder Angehörigen mit ins Boot zu holen, damit das Begleiten der Situation Hand in Hand gehen kann.“
Was geben Sie angehenden Trauerbegleitern mit auf den Weg, wie sie dabei die Gratwanderung zwischen Nähe und Distanz am besten hinkriegen?
„Ich denke, wer mit dem Anspruch in die Familientrauerbegleitung geht, auf Distanz bleiben zu wollen, sollte das noch mal überdenken. Wir bekommen intimste Geschichten erzählt, wir bekommen größte Krisen innerhalb von Familien mit und selbstverständlich gebe ich mich erst einmal in die Nähe hinein und möchte nahbar sein für die Familien. Das ist für mich eine grundsätzlich ethische Haltung meines Berufsbilds. Wenn wir nicht nahbar sind, wer soll es dann sein für diese Menschen?“
Wie bleiben Sie dabei professionell?
„Nahbarkeit schließt Professionalität nicht aus. Die professionelle Haltung gelingt aufgrund des Wissens im Hintergrund. Sie ist eine Mischung aus Wissen, Praxis und Kreativität. Es braucht viel Fantasie, eine große Methodenvielfalt, gesunden Menschenverstand, ein offenes Herz, offene Ohren, einen guten Beobachtungssinn und natürlich auch die Bereitschaft, die eigenen Haltungen und Arbeitsweisen immer wieder zu hinterfragen und zu reflektieren.“
Als zertifizierte Familientrauerbegleiterin mit viel Praxiserfahrung, Pädagogin, Autorin und Fachdozentin für Trauerpsychologie ist Alexandra Eyrich eine gefragte Gesprächspartnerin auf diesem Gebiet. In ihrer Heimatstadt Bamberg hat sie die Trauerinitiative „ZwischenGeZeiten“ für Kinder, Jugendliche und Familien ins Leben gerufen, deren pädagogische Leiterin sie auch ist. Ihr Anliegen ist es, mit pädagogisch-kreativen Ansätzen dazu beizutragen, dass „die Trauererfahrung so ins eigene (Weiter-)Leben integriert werden kann, dass die Trauernden nicht Abstand, sondern Stand gewinnen!“
Spenden für Kinderhospizdienst
Kinder.Leben.Abschied. So lautet das Motto der diesjährigen „Gäubote“-Weihnachtsaktion in Kooperation mit dem Arbeitskreis „Miteinander – Füreinander“.
Im Mittelpunkt stehen Kinder, die keine Lebensperspektive mehr haben. Deren Abschied bevorsteht, dennoch aber Freude am Leben haben sollen. Ihnen zur Seite steht seit vielen Jahren der ambulante Kinder- und Jugendhospizdienst des Evangelischen Diakonieverbands. Er bietet Begleitung für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die schwer erkrankt sind oder sich in ihrer letzten Lebensphase befinden. Auch Kinder
und Jugendliche, die um ihre Eltern oder Geschwister trauern, finden hier Unterstützung. Mit den Spenden der „Gäubote“-Weihnachtsaktion soll die ehrenamtliche Komponente der Hospizarbeit gestärkt werden, für die es keine feste Finanzierung gibt. Dem Arbeitskreis „Miteinander – Füreinander“ gehören neben dem „Gäubote“ und den Kirchen Vertreter der Diakonie, der Stadt Herrenberg und der Bürgerstiftung an.