Andrew Bossom beim Bearbeiten des Videos, das er mit deutschen Untertiteln versehen hat GB-Fotos: gb
Es war eine Art Heimkehr für Andrew Bossom, als der 49-jährige Engländer in diesem Frühsommer wieder nach Herrenberg kam. 1988, vor mehr als 30 Jahren, lebte er hier ein Jahr lang. Jetzt wollte er unbedingt zurück, um ein Video über die Gäustadt zu machen. Denn mit Videos hat sich Bossom im Internet bei Youtube einen Namen gemacht.
„Ich mache Infotainment“, sagt er. Und das in der ganzen Breite, die das Leben so mit sich bringt. Als Engländer, der mittlerweile in Kleinkahl bei Aschaffenburg lebt, nimmt er sich der sprachlichen und kulturellen Unterschiede der beiden Länder an, blickt auf die Bahnprobleme hier wie dort und lässt den Brexit natürlich auch nicht aus. Die Mischung kommt an: Über 40000 Abonnenten hat sein Youtube-Kanal „rewboss“ bereits, über 15 Millionen Mal wurden seine Beträge angeschaut. „Die Großzahl der Zuschauer konzentriert sich auf Deutschland“, erzählt Bossom. „Ich bekomme aber auch viel Feedback von Amerikanern, die mit der Army hier sind und Deutschland und mich entdecken.“
Herrenberg dürfte demnach bald auf dem Reiseplan eines manchen Zuschauers stehen. „Herrenberg kann ich jedem empfehlen, der eine pittoreske Version von Deutschland sucht, ohne in eine Touristenfalle zu geraten“, sagt Bossom am Ende seines 23-minütigen und selbst für Einheimische informativen und unterhaltsamen Films. Die Stadt sei „irgendwie unverdorben geblieben“ von den Touristenmassen, die stattdessen Rothenburg ob der Tauber und ähnliche Ziele aufsuchen.
Schrecken vor Glockenmuseum erweist sich als ungerechtfertigt
Sich seines deutschen Publikums bewusst, spricht Bossom die selbst verfassten Texte zu seinen Bildaufnahmen auf Englisch, unterlegt diese aber mit stimmigen deutschen Untertiteln. Dabei gelingt es sogar häufig, den subtilen Humor, der im gesprochenen Wort mitschwingt, mit in die geschriebenen Zeilen hinüberzuretten. So lässt sich Herrenberg auch für diejenigen, die nicht des Englischen mächtig sind, neu oder wieder entdecken.
Dabei lässt Bossom an Sehenswürdigkeiten nichts aus. Die Stiftskirche mit ihrer Bau- und Sanierungsgeschichte und Kunstwerken spielt eine zentrale Rolle. Bossoms Faszination für das Glockenmuseum wird deutlich. „Das ist schon etwas Außergewöhnliches“, sagt er. „Es war nicht so laut wie befürchtet.“
Und es war definitiv eine Veränderung gegenüber dem Herrenberg, das Bossom 1988 erlebte. „Ich bin damals schon gerne durch die Altstadt geschlendert.“ Deren Fassaden mit ihren Fachwerkbauten ziehen sich als Hingucker wie ein roter Faden so durch das Video, dass einer der Kommentare auf Youtube ein Trinkspiel vorschlägt: Man solle sich jedes Mal einen genehmigen, wenn ein Fachwerkhaus zu sehen ist. „Ich finde, die Altstadt hat sich kaum verändert“, sagt Bossom gegenüber dem „Gäubote“. „Einige Häuser sind renoviert, einige heruntergekommen.“ Wohl aber sei er während seines dreitägigen Aufenthalts überrascht gewesen, wie viele Leute inzwischen die S-Bahn benutzen. 1988 war Andrew Bossom 18 Jahre und war gerade mit der Schule fertig. Ein Übergangsjahr sollte die Zeit bis zum Deutsch- und Russisch-Studium an der Universität von Wolverhampton überbrücken. Bossom bewarb sich bei verschiedenen Organisationen. Die Zusage erhielt er vom Diakonischen Werk – das Seniorenzentrum, das heute als Wiedenhöfer-Stift bekannt ist, wurde zu seiner Arbeitsstätte. Ein Sprung ins eiskalte Wasser, wie der 49-Jährige heute zugibt: „Ich hatte am Anfang so meine Schwierigkeiten mit meinem Schuldeutsch und dem schwäbischen Dialekt.“ Eine leitende Schwester habe ihn nach drei Monaten mal ins Zimmer zitiert und gefragt, warum er denn so still sei. Das muss sich aber bald geändert haben. „An der Uni musste ich dann den schwäbischen Dialekt wieder loswerden.“
Es blieb eine enge Verbundenheit mit Herrenberg, auch wenn Bossom keinen persönlichen Kontakt mehr mit Herrenbergern pflegt. Bossom wuchs in Glastonbury in der Grafschaft Somerset auf. „Das ist ähnlich groß wie Herrenberg.“ Wie dereinst zog es ihn auch dieses Mal auf den Schlossberg. „Herrenberg ist ja nicht so groß, dass man sich aussuchen muss, wo man hinwill. Man kommt automatisch dorthin, wo man früher auch war.“
Die Videos bezeichnet Bossom als „ein sich selbst finanzierendes Hobby“, Werbung und Crowdfunding bringen demnach Geld in die Kasse des Übersetzers und Korrekturlesers, der auch schon professionelle Videoaufträge erfüllt hat. Das Herrenberg-Video sticht in seiner Länge von 23 Minuten deutlich aus der Masse der Beiträge Bossoms hervor. Meist dauern diese nur wenige Minuten. „Die Bearbeitung dauerte zwei bis drei Tage, die Recherche und das Schreiben ein bis zwei Tage“, erzählt er. Unterstützung erhielt er dabei vom Evangelischen Dekanat und dem Glockenmuseum. „Da steckt jede Menge Arbeit drin.“ Auch das Buch „Der Herrenberger Stadtführer“ von Dr. Michaela Bautz hat sich als ergiebige Info-Quelle herausgestellt. „Man merkt, dass sie eine richtige Historikerin ist.“
Andrew Bossom zumindest ist ein richtig gutes Reisevideo gelungen, das Lust macht, Herrenberg selbst zu erkunden. JOCHEN STUMPF