Realer Mord dient als Vorlage für fiktiven Mord
Tief dunkelrot schimmert der Nero d’Avola in den Weingläsern, die vier Autoren, die im Nufringer Generationenreferat ihren Krimi-Erstling vorstellen, tragen rosarote Herzchenbrillen. Sowohl der sizilianische Tropfen als auch das modische Accessoire spielen in der Handlung des Debüts „Randfiguren“ eine Rolle.
Lesedauer: ca. 3min 27secMitten in die Treffen einer kleinen Gruppe, die aus einem Schreibworkshop der Herrenberger Volkshochschule hervorging, platzte im Sommer 2014 ein spektakulärer Fall hinein. Der versetzte nicht nur die Landeshauptstadt in Angst und Schrecken. An einem sonnigen Junitag nach Himmelfahrt machten zwei Männer im unteren Schlossgarten zwischen Bahndamm und der Baumallee, die zum Schloss Rosenstein führt, eine fürchterliche Entdeckung. Sie stießen auf zwei Rollkoffer, von denen einer blutverschmiert war. Die herbeigerufenen Polizisten entdeckten in den Koffern zwei Leichen, die wie Embryos zusammengekauert waren, massive Stich- und Schlagverletzungen aufwiesen. Die Frau, die an mehreren Messerstichen verblutet war, und der Mann, der an einem offenen Schädel-Hirn-Trauma gestorben war, konnten der Stuttgarter Obdachlosen-Szene zugerechnet werden. Wenig später konnte ein seit langem arbeitsloser, gelernter Maurer und Zechkumpan des Paares als Täter dingfest gemacht werden. Er soll die beiden Wohnsitzlosen im Alkoholrausch in seiner Wohnung umgebracht haben. Der Mann wurde mittlerweile wegen Totschlags und Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.
Wie würgt oder erschlägt
man eigentlich jemanden?
Der Fall machte auch bei der Schreibergruppe, die sich regelmäßig im damaligen Herrenberger Restaurant Botenfischer traf, Schule. Die Idee, vor dem Hintergrund der Geschehnisse einen eigenen, gemeinsamen Krimi mit Lokalkolorit zu schreiben, war geboren. Die Schreiber gingen mit Eifer ans Werk, allesamt hatten sie ja vom Töten keine Ahnung, probierten dennoch szenisch aus, auf welche Weise die Opfer in ihrer Krimi-Handlung ihr Leben lassen sollten. Wie schüttelt, würgt und erschlägt man eigentlich jemanden, wie sticht man mit dem Messer zu? Nach ersten spielerischen Versuchen traf man sich dann doch lieber privat und nicht mehr in der Öffentlichkeit. Birgit Örter, Gabi Kast, Daniel Faust und der Vierte im Bunde, der sich das Pseudonym Alexander Courz zugelegt hat, suchten die Orte des Geschehens auf. Das Autoren-Kollektiv spielte aber auch heimlich Mäuschen. Etwas abseits auf Bänken sitzend, den leckeren Döner von nebenan in der Hand, hörte man den einfachen Leuten zu, den Stützebedürftigen und Obdachlosen, die sich nahe eines Bahndepots auf einer einstigen Drehscheibe der Straßenbahn treffen. Zu dritt schloss man sich einer Trottwar-Stadtführung der etwas anderen Art an, die die Landeshauptstadt einmal nicht von der schönen und teuren Seite zeigt. „Man taucht jetzt nicht in eine Welt ein, die einem unbedingt fremd ist, aber was die Obdachlosigkeit angeht, muss man sich schon in die Denkstrukturen der Leute reinfinden“, sagt der Journalist und Autor Daniel Faust. Hilfreich war auch der Besuch des Gerichtsprozesses gegen den Täter der Koffermorde. Wie passen die Tatumstände zeitlich zusammen, wie geht die Polizei vor, was haben die Zeugen mitbekommen, wie äußern sich Sachverständige, etwa die Gerichtsmedizin? „Der Prozess hat uns schon viel geholfen, auch wenn der wahre Täter ein ganz anderer Typ als in unserem Buch ist“, erzählt Daniel Faust. Der weiß ganz genau, dass es zu authentischen Schauplätzen, die das Verbrechen ins Vertraute einer kleinen, überschaubaren Welt, also quasi vor die eigene Haustüre holen, auch eine packend und gut erzählte Geschichte mit starken Charakteren braucht. Das unter die Regionalkrimi-Autoren gegangene Schreiberkollektiv hat sich da über viereinhalb Jahre mächtig ins Zeug gelegt. So begegnen die zahlreich erschienenen Zuhörer bei der Erstlings-Lesung dem jungen, agilen und smarten Immobilienmakler Stefan Bach, der nicht nur schnelle Flitzer liebt und sich gerade für den Stuttgarter Stadtlauf fit zu machen sucht, sondern sich auch für den Osten der Landeshauptstadt starkmacht, in einer Bürgerbewegung engagiert, ein Kümmerer vor dem Herrn ist und seine Freundin, eine Stewardess, von ganzem Herzen liebt.
Als dann die Leichen von zwei Obdachlosen, die im Buch Gisi und Helmut heißen, in Koffern gefunden werden, wird dieser Stefan Bach zum Hobby-Schnüffler, der mehr und mehr in den Fall hineingezogen wird. „Der spielt ein bisschen Pater Braun“, spielt Daniel Faust auf die bekannte Literatur- und Filmfigur an, die in ihrer Freizeit gerne Kriminalfälle löst. Da ist aber auch noch Bachs Freund, der etwas einfältige und dennoch leicht gerissene Paule Koslowski, der seinen Kiosk am Ostendplatz just am sozialen Brennpunkt zwischen Taxifahrern und Obdachlosen-Szene betreibt. Da sind aber auch die etwas ruppigen, abgezockten und windigen Taxifahrer Willi und Peter, aus deren Gebaren man erst einmal nicht so recht schlau wird. Und da ist noch Oswald Sattler, ein einsamer Rentner und penibler Gewohnheitsmensch, der jeden Verstoß seiner Mitmieter gegen die Hausordnung akribisch in sein Büchlein notiert. Ob Bachs Sportsfreund, der beim berühmt-berüchtigten Polizeieinsatz gegen die Gegner von S21 einen Teil seines Sehvermögens eingebüßt hat, schnodderige und schlagfertige Dialoge, unheimliche nächtliche Stimmungen, ein schnörkellos und sich langsam aufbauender Spannungsbogen – was die „Gäu-Writers“ zu Gehör bringen, verspricht jede Menge gute Unterhaltung und Nervenkitzel.