„Schiedsrichter sind im Grunde ganz okay“

Thomas Schnaufer kann nicht nur knitz schauen, sondern hat auch die passenden Sprüche drauf GB-Foto: Schmidt
Etwas verloren stapfte Thomas Schnaufer zum Anspielkreis. Eine Übung, die ein Schiedsrichter normalerweise schlafwandlerisch ausführt. In der Herrenberger Längenholzhalle fiel ihm das aber ungleich schwerer. Und das war nicht seinen Hüftproblemen geschuldet. Knapp 30 seiner Schiedsrichterkollegen hatten sich nach den Viertelfinalpartien beim „Gäubote“-Cup auf dem Parkett eingefunden und hießen den Kollegen in ihrer Mitte willkommen. Sogleich stimmte Christian Runge ein Loblied auf den 58-Jährigen an. „Wir möchten uns bei einem Schiedsrichter bedanken, ohne den die Schiedsrichterei im Kreis Böblingen nicht da wäre, wo sie heute ist“, sagte der Schiedsrichter des TSV Waldenbuch.
Thomas Schnaufer: Ein Schiri-Original tritt ab
Der 58-jährige Thomas Schnaufer vom VfL Herrenberg ist ein echtes Original. Über 30 Jahre lang war er im Ausschuss der Schiedsrichtergruppe Böblingen tätig, forderte und förderte unzählige Unparteiische. Nun, beim Finaltag des "Gäubote"-Cups am Sonntagabend, wurde er als stellvertretender Obmann verabschiedet - vor großem Publkum und begleitet von etlichen Schiri-Weggefährten. Ihr Erscheinen sorgte für etwas, was bei Thomas Schnaufer nur selten vorkommt - er war "sprachlos". "Gäubote"-Fotograf Wolfgang Schmidt hat zum Abschied eine kleine Fotogalerie zusammengestellt.
Seit 1978 Unparteiischer, seit 1989 im Ausschuss der Schiedsrichtergruppe Böblingen tätig, hat Schnaufer vor knapp drei Monaten entschieden, kürzertreten zu wollen. „Deutlich kürzer“, betont der Unparteiische des VfL Herrenberg. „Nach 30 Jahren will ich etwas Abstand gewinnen. Und der Moment könnte dafür besser nicht sein.“ Als stellvertretender Obmann weiß er „sein Erbe“ in guten Händen. In Achim Gack ist längst ein Nachfolger für den langjährigen Chef Kurt-Heinz Kuhbier gefunden. Gack wird die Gruppe nach außen hin vertreten. Christian Runge und Michael Jörg kümmern sich um die administrativen Dinge, die in der Schiedsrichtergruppe anfallen.
Dem Schiedsrichterwesen wird Thomas Schnaufer aber nicht ganz den Rücken kehren. Die jüngeren Unparteiischen will er unterstützen. Laut Thomas Schnaufer seien einige „richtige Raketen dabei. Mit Raffaele Riehm und David Simovski haben wir zum Beispiel zwei ganz große Talente bei uns in der Gruppe, die ich begleiten will.“ So will der 58-Jährige auch auf die saisonal geforderten 15 Soll-Spiele kommen. „Und über Hallenturniere“, bestätigt Thomas Schnaufer. „Wenn man fünf Stunden bei einem Hallenturnier pfeift, dann werden zwei Spiele angerechnet.“
Die neu gewonnene Freizeit will der Betriebswirt beim Daimler-Konzern vor allem dazu nutzen, Fahrrad zu fahren und sich verstärkt der eigenen Gesundheit zu widmen. Ein Aneurysma in der Kniekehle machte ihm vor kurzem zu schaffen. Eine Hüftoperation steht demnächst noch bevor. „Hoffentlich bald, denn es ist dringend. Auch weil meine Tochter Madeleine im kommenden Mai heiratet, da will ich wieder halbwegs fit sein.“ Mit Thomas Schnaufer tritt ein echtes Original in das zweite Glied zurück. In der Längenholzhalle ist er aufgrund der überraschenden Ehrung sichtlich baff und gesteht, dass er „nicht oft im Leben sprachlos“ sei. „Die Überraschung ist den Kollegen gelungen. Da sieht man mal, was die Männer drauf- haben.“ Die Rede ist kurz, dennoch hat er die Lacher schnell auf seiner Seite, als er eine Lanze für seinen Stand bricht: „Schiedsrichter sind im Grunde ganz okay, selbst wenn sie hin und wieder auch einen ’Scheiß’ zusammenpfeifen.“
Hätte Thomas Schnaufer noch Zeit gefunden, die ein oder andere Anekdote seiner über 30-jährigen Schiedsrichter-Laufbahn zum Besten zu geben, wären die Zuschauer in der Längenholzhalle in den Genuss eines prächtigen Comedy-Programms gekommen. „Oh, da gibt es unglaublich viele Geschichten“, wird er fast schon sentimental, muss dabei aber auch lachen. Da wäre zum einen die Geschichte über einen ehemaligen Problemspieler aus der Verbandsliga, der bei einem Hallenturnier partout keine Schienbeinschützer tragen wollte und sich stattdessen eine „Bild“-Zeitung unter die Stutzen klemmte. „Ich hatte ihn gebeten, er wollte nicht“, erinnert sich Thomas Schnaufer. „Als er dann ein Tor erzielt hat, habe ich dieses nicht gegeben, da er nicht ordnungsgemäß gekleidet war.“ Mit Thomas Schnaufer war eben nicht gut Kirschen essen.
„Bei einer anderen Partie kam mal ein Betreuer vor dem Anpfiff zu mir und kündigte an, dass sich einer seiner Spieler heute die Rote Karte abholen werde, da es das letzte Spiel seiner Karriere sei. Die habe ich ihm daraufhin verwehrt. Und ich sagte ihm, dass er mich an diesem Tag sogar beleidigen könnte, die Rote Karte würde ich trotzdem nicht zücken.“ Das Ende vom Lied: Besagter Spieler ließ sich nach einer halben Stunde enttäuscht auswechseln. Thomas Schnaufers Sturheit hätte aber auch fast seine Unparteiischen-Karriere beendet. Und zwar, als er in zwei aufeinanderfolgenden Jahren jeweils wegen eines Zehntels in der Benotung den Sprung in die Verbandsliga verpasste. „Damals dachte ich wirklich ans Aufhören“, erinnert sich Schnaufer. „Davon habe ich aber Abstand genommen, da es nicht meine Art ist, den Bettel hinzuwerfen und meine Kollegen im Stich zu lassen.“ Zu wichtig waren ihm die langjährigen Weggefährten wie Hans Rieß, Norbert Fleischer, Ralf Lalka, Frank Baitinger oder Georg Weiß, mit denen er in der Landesliga im Gespann pfeifen durfte. Dass Baitinger, Weiß und er in fremden Stadiongaststätten nicht gern gesehen waren, lag am Appetit des Trios. „Die Gaststättenbetreiber haben oft die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, sobald sie uns gesehen haben“, muss Schnaufer lachen. „Denn sie wussten, dass normale Portionen für uns drei nicht ausreichen würden.“ Die Zeit als Schiedsrichter will Thomas Schnaufer auch aufgrund solcher Erinnerungen nicht missen.
Und so sehr ihn die Ehrung nun gefreut hat, so wenig mag er solche Auszeichnungen. „Sie zeigen mir nur, was für ein alter Knochen ich inzwischen geworden bin“, kann sich Schnaufer ein Schmunzeln nicht verkneifen. EDIP ZVIZDIÇ