Schwäbisches Kulturgut mit knackiger Note
Saitenwürstchen und Kartoffelsalat sind kein Festmahl. Und doch gehört die frugale Kombination in vielen schwäbischen Haushalten so sehr zum Heiligen Abend wie der Baum. Und manch einer, der die Würstchen macht, hat sogar eine kleine Theorie dazu, weshalb das so ist.
Lesedauer: ca. 3min 24secDer wahre Ursprung des weihnachtlichen Würstchens bleibt dabei aber doch im Dunkeln. Werner Weippert, Metzger in Kayh, mutmaßt nur dies: „Es ist ein sehr unkompliziertes Essen. Man muss die Saiten nur in warmes Wasser werfen, man muss sie nicht einmal kochen, und nach wenigen Minuten sind sie schon fertig und schön knackig.“ „Rein gefühlsmäßig“, denkt Weippert auf gut Schwäbisch, „ist es also eine Art Convenience-Essen. Und außerdem wurde es früher auch schon gemacht“. Weippert ist Metzger seit 1992; seine Metzgerei ist ein Familienbetrieb, sein Vater Gerhard Weippert führte sie seit 1958 – und natürlich, sagt der Vater, war die Saitenmahlzeit am Heiligen Abend zu seiner Zeit noch gefragter als heute. Aber das Würstchen kehrt zurück. „Letztes Jahr“, erzählt der Sohn, „mussten wir kurz vor dem Fest noch einmal 600 Stück machen. Wir waren völlig überrascht von der großen Nachfrage.“
Fix, gut und günstig
Der 24. Dezember ist kein reiner Feiertag – für viele Menschen ist er noch mit Arbeit verbunden, es müssen letzte Dinge vor dem Fest noch erledigt werden; zudem geht der fromme Schwabe am Heiligen Abend in die Kirche. Da bleibt nicht so viel Zeit. Zudem ist der Schwabe natürlich sowieso Schwabe, und die Würstchen sind nicht teuer. Ein Festessen gibt es dann in vielen Haushalten am ersten Feiertag. Am Abend zuvor soll’s fix, gut und günstig gehen, aber doch sehr gut schmecken. Und auch die Kinder mögen das Saitenwürstchen sehr.
Davon erzählt Günther Egeler, Metzgermeister in Reusten. „Wir haben Kunden, die kommen zu uns und sagen: Wir brauchen jetzt fürs Fest 15 Paar Saiten, und die Mama macht zehn Salate dazu.“ Egeler steht seit 45 Jahren an der Fleischtheke seiner Metzgerei und hat, mit Hinblick auf das Würstchen an Weihnachten, in dieser Zeit keine Veränderung der Nachfrage bemerkt. „Wir verkaufen in diesem Jahr, am Freitag, Samstag und Montag, voraussichtlich 300 Kilogramm Saiten“, sagt er. Ein Saitenwürstchen wiegt etwa 70 Gramm. Egeler hat, als Metzger, einen großen Auslieferungsradius – aber die Summe von weit mehr als 4000 Saiten, die sich aus der Rechnung ergibt, verkauft er nur an seinem Standort in Reusten.
Gerhard Weiß, Metzger in Rohrau, hat in den vergangenen 20 Jahren dagegen ein deutliches Schwinden der Tradition festgestellt. Freilich spielen die Saiten auch bei seinen Kunden noch immer ihre Rolle auf der Festtagskarte.„Aber wir haben schon einmal mehr davon verkauft“, sagt Weiß. Konkurrenten des Würstchens sind nicht vor allem Pute und Ente, denn die liegen meist erst am ersten Weihnachtsfeiertag auf der Platte. Aber das Fondue, das Raclette sind jüngere Trends, die ein gewaltiges Potenzial zur Verdrängung der Würstchen besitzen – das Raclette vor allem lässt sich auf einfache Weise stark variieren, ist eine Abendmahlzeit, die stimmungsvoll gemeinsam verzehrt wird.
Einig sind sich alle drei Metzger darin, dass es für das Saitenwürstchen ein Standardrezept gibt, bei dem nur wenige Variationen gelten. „Ein Saiten“, sagt Günther Egeler, „besteht aus Rindfleisch, Schweinebauch, Wasser, Salz. Wichtig ist Pfeffer.“ Hinein kommt außerdem eine Prise Macisblüte, ein Gewürz, das aus dem Samenmantel der Muskatblüte gewonnen wird, eine Prise Paprika . „Manche“, sagt Egeler, „nehmen statt Macis auch Muskat, aber das ist ein bisschen dominant.“
Ingwer nur sehr sparsam
Gerhard Weippert erwähnt auch Ingwer, sehr sparsam hinzugefügt: „Aber man darf es auf keinen Fall herausschmecken“, sagt er. Saiten, so Weippert, werden aus sehr feinem Brät hergestellt – „ähnlich der Lyoner“. Gefüllt wird dieses Brät in den Dünndarm von Schafen, einen Schafsaitlingsdarm. „Früher“, dies wiederum erklärt Günther Egeler, „hat man aus solchen Därmen auch die Saiten der Violine gemacht.“ Daher also der Name.
Egeler weiß auch, dass das Saitenwürstchen in Frankfurt Wiener heißt, in Wien Frankfurter. Die Frage, weshalb das so ist bietet Anlass für komplexe Theorien. Allerdings, sagt Günther Egeler, sei das Würstchen nirgendwo so hoch geschätzt, wie in Württemberg: „Im Schwäbischen ist das ein Kulturgut.“ Egeler hat von Abwandlungen, Saitenvarianten gehört, bei denen gröberes Brät zugefügt wird, das Würstchen sich fast schon zur Schinkenwurst wandelt: „Aber das ist dann eigentlich kein Saiten mehr.“ Und zum echten Saiten gehört an Weihnachten im Schwäbischen unbedingt zumindest ein klassischer Kartoffelsalat. Die Regeln stehen fest, die schwäbische Hausfrau kennt sie.
Nur: Was isst der Metzger selbst an Heiligabend? Bei Werner Weippert in Kayh bleibt diese Frage bis zuletzt offen. Viele haben viel zu tun, vor dem Fest, der Metzger fast noch mehr. Ob für ihn ein Würstchen bleibt? „Wir essen, was übrig ist“, sagt Weippert. „Meistens ist das Geschnetzeltes. Schließlich schaffen wir den ganzen Tag.“