Spielen hilft Kindern bei der Verarbeitung
Krieg im eigenen Land, Gewalt, eine gefährliche Flucht über das Meer. Was Kinder auf ihrer Flucht erleben, ist für viele kaum vorstellbar. In Deutschland angekommen, sind viele Kinder von ihren Erfahrungen traumatisiert. Deshalb bildet der Evangelische Diakonieverband im Landkreis Böblingen nun Traumahelfer aus, die Kindern bei der Bewältigung zur Seite stehen.
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Die Flucht hinterlässt bei vielen Kindern seelische Spuren. Ehrenamtliche Traumahelfer sollen sie bei der Verarbeitung ihrer negativen Erfahrungen unterstützenGB-Foto: schankz/Adobe Stock
Oft ist es erschreckend, was Kinder in jungen Jahren bereits erleben mussten. Gerade das Thema Flucht hinterlässt bei vielen seelische Spuren. Doch festzustellen, wann man von einem Trauma sprechen kann, ist oft gar nicht so einfach. „Traumata sind ein komplexes Thema“, betont Annika Schweizer vom Haus der Diakonie Herrenberg. „Ein Trauma festzustellen, ist gar nicht so einfach – das äußert sich nämlich bei jedem unterschiedlich.“ Klare Faktoren, die man abarbeiten kann, gebe es nämlich nicht. „Man muss sich überlegen, was ein Kind bei der Flucht potenziell erlebt haben könnte“, schildert Annika Schweizer. Dass zwei Personen exakt dasselbe erleben, muss aber nicht heißen, dass auch beide unter ihren Erinnerungen zu leiden haben. Während einer durch das Geschehene ein Trauma davonträgt, kann der andere damit vielleicht viel besser umgehen.
Psychologische Fachkräfte übernehmen die Ausbildung
Annika Schweizer arbeitet seit März 2018 im Haus der Diakonie Herrenberg und befasst sich mit Projekten der kirchlich-diakonischen Flüchtlingsarbeit. Dort organisiert sie beispielsweise auch das Schulungswochenende am 1. und 2. November, bei dem man sich ehrenamtlich von Psychologischen Fachkräften aus Regensburg zum Traumahelfer ausbilden lassen kann. „Hintergrund ist, dass es für traumatisierte Kinder oft zu wenig therapeutische Betreuungsplätze gibt“, erklärt Annika Schweizer. Deshalb ist das Ziel dieser Schulung auch, Anfang 2020 beim traumasensiblen Sandspiel für geflüchtete Kinder im Grundschulalter mitmachen zu können. Ein Projekt, das den Kindern spielerisch dabei helfen soll, ihre negativen Erinnerungen zu verarbeiten.
„Bei diesem Projekt dürfen Kinder durch Figuren und Materialien im Sandkasten versuchen, ihre Erlebnisse darzustellen“, beschreibt Schweizer. „Jedes Kind bekommt dabei einen Traumahelfer zur Seite gestellt, der es unterstützt.“ Dass Spielen den Kindern oft hilft, ihre negativen Erlebnisse aufzuarbeiten, sei mehrfach bewiesen worden. Die Idee zum Sandspielprojekt komme ursprünglich aus Reutlingen und wird dort schon seit einer Weile erfolgreich durchgeführt. Wie gut die Idee im Landkreis Böblingen ankommt, werde sich noch zeigen. „Wir werden mal schauen, wie gut das Projekt hier angenommen wird“, meint Schweizer. „Und dann im Laufe des nächsten Jahres entscheiden, ob man das weiterführen kann.“ Jetzt ist der nächste Schritt aber erst mal, Traumahelfer für das Sandspielprojekt auszubilden. „Die Schulung ist mit einem Erste-Hilfe-Kurs vergleichbar“, erklärt Annika Schweizer. „Man hat danach keine medizinische Ausbildung, kann den Kindern mit seinem Grundwissen aber trotzdem helfen.“
Um zu helfen, muss man allerdings erst mal wissen, ob denn überhaupt ein Trauma besteht und die Symptome dafür erkennen können. In der Schulung soll sich ein großer Themenkomplex deshalb damit befassen, was ein Trauma ist und was man dabei beobachten kann. Anzeichen für ein Trauma sind laut Annika Schweizer zum Beispiel Konzentrationsstörungen. Das betroffene Kind driftet plötzlich einfach ab, gefangen in seinen eigenen Erinnerungen. Ist das der Fall, gibt es verschiedene Stabilisierungstechniken, mit denen man das Kind auffangen kann. Annika Schweizer kennt zum Beispiel die Technik der „liegenden Acht“. „Das ist recht banal, aber dabei sollen Kinder einfach über mehrere Minuten hinweg eine Acht auf ein Blatt malen“, beschreibt die Tübingerin. „Die Kinder konzentrieren sich dann auf das Malen und das Blatt Papier.“ Eine pragmatische Methode, aber trotzdem effektiv.
Wer mitmacht, bekommt die
Kosten für Schulung erstattet
Auch für Annika Schweizer ist das Projekt Traumahilfe noch Neuland. Ein bisschen Wissen über die Thematik konnte sie während des Studiums in ihrem Nebenfach Psychologie sammeln. Oder während ihrer ehrenamtlichen Arbeit am Kinder- und Jugendtelefon. „Aber die Fachkräfte, die die Schulungen machen, haben da natürlich Erfahrung und den entsprechenden, fachlichen Hintergrund.“ Die Ehrenamtlichen, die sich als Traumahelfer ausbilden lassen wollen, müssen übrigens nicht zwingend beim Sandspielprojekt mitmachen. Wer allerdings am Projekt teilnimmt, bekommt dafür auch die Kosten für die Traumahelfer-Schulung zurückerstattet. „Wir haben die Schulung mit etwa 50 Leuten geplant, weil wir auch damit rechnen, dass sich nicht jeder am Sandspiel beteiligen wird“, so Schweizer. Einige Anmeldungen habe es schon gegeben, doch es seien auch immer noch genügend Plätze frei. Anmeldeschluss ist der 6. Oktober.
Eine Infoveranstaltung zum Thema Trauma und Traumahelfer findet am 1. Oktober, um 19 Uhr im Haus der Begegnung, in Böblingen statt. Bereits am Freitag, 20. September, 19.30 Uhr, veranstaltet die Evangelische Erwachsenenbildung im Kirchenbezirk Herrenberg in Kooperation mit dem Haus der Diakonie, in der Herrenberger Spitalkirche einen Abend zu diesem Thema: „Trauma und Flucht – zwischen Flucht, den Folgen und Neubeginn“.
Nähere Informationen zur Traumahelfer-Ausbildung finden sich im Internet: www.edivbb.de. Bei Fragen zum Thema Traumahelfer steht Annika Schweizer aber auch gerne zur Verfügung, per E-Mail: schweizer@diakonie-herrenberg.de oder telefonisch unter der Nummer (0 70 32) 7 99 92 06.