Viele Menschen schämen sich ihrer Not

Von Jenny Schwartz

„Gäubote“-Weihnachtsaktion: Hilfseinrichtungen und Organisationen berichten von zunehmender Armut inmitten der Gesellschaft. Hier setzt „Miteinander – Füreinander“ ein Zeichen der Solidarität.

Viele Menschen schämen sich ihrer Not

Ob Kleiderkammer, Tafel- oder Diakonieladen: Viele Menschen, die unversehens in finanzielle Schieflage geraten oder in der Armut gelandet sind, sind auf Hilfsangebote und Spenden angewiesen.GB-Foto: hakinmhan/stock.adobe.com

Nur wenige Deutsche kommen – Im DRK-Tafelladen in Herrenberg beobachtet man seit einigen Monaten einen stärkeren Zulauf, allerdings vorwiegend von Geflüchteten aus der Ukraine. „Offen gesagt, die Deutschen in Not trauen sich selten hierher“, erklärt Angela Braun von der DRK-Ortsgruppe. „Es scheint nicht so in der Mentalität der Deutschen zu liegen, um Hilfe zu bitten.“ Dabei gebe es viele Senioren mit kleiner Rente, die den Tafelladen durchaus in Anspruch nehmen dürften. Da liege aber bereits das Problem, denn nur wenige Leute seien bereit, dem Tafelladen ihre finanzielle Lage offenzulegen, was allerdings Voraussetzung für die Berechtigung ist, dort einzukaufen „Ich vermute, die Leute haben Angst, dass sie dadurch vielleicht als Menschen zweiter Klasse gesehen werden könnten, was natürlich nicht stimmt“, so Angela Braun. „Diese Vorurteile müssen dringend aus den Köpfen der Bürger verschwinden.“

Anfragen über Anfragen – Die Schuldnerberatung im Haus der Diakonie kann sich vor Anfragen aktuell kaum retten. „Viele Menschen aus der Mittelschicht nehmen für alles mögliche Kredite auf, für Leasing-Autos und so weiter“, erklärt Birgit Knaus von der Herrenberger Beratungsstelle. Das funktioniere auch prima, solange das Einkommen stimme. „Allerdings gab es da schon während Corona viele Einbrüche und durch die höheren Lebenshaltungs- und Energiekosten, haben die Leute plötzlich nicht mehr genug Geld zur Verfügung und können ihre Schulden nicht mehr abbezahlen.“ Dieses Problem betreffe derzeit so viele Menschen, dass die Schuldnerberatungsstelle schon gezwungen ist, Neuanfragen abzulehnen. Eine Alternative bietet noch die Beratungsstelle im Landratsamt, die allerdings laut Birgit Knaus ebenfalls total überfüllt ist. „Und gewerbliche Beratungsagenturen sind extrem teuer“, sagt sie. „Es müssten also viel mehr Beratungsstellen her, um das alles aufzufangen.“

Zaun voller Gaben – 2020 hat der Verein Freunde e.V. in Herrenberg den Gabenzaun errichtet, wo Trockenlebensmittel, Drogerieartikel, Kleider und Schuhe gespendet und anonym von Bedürftigen abgeholt werden können. Durch die gestiegenen Lebenshaltungskosten werden diese Spenden mehr denn je gebraucht, wie die Vereinsmitglieder Hans Fobke und Beate Langguth-Fobke berichten. „Man muss bedenken, dass Leute mit geringem Einkommen in der Regel auch in einfachen Gebäuden mit schlechter Bausubstanz wohnen und deshalb keine Möglichkeit haben, Energie und Heizkosten zu sparen“, sagt Hans Fobke. Dazu kommen die gestiegenen Kosten für Lebensmittel und auch die Tatsache, dass viele Medikamente aus eigener Tasche bezahlt werden müssen. „Wenn man im Monat nur 400 Euro vom Staat bekommt, spürt man solche Ausgaben sehr“, so Beate Langguth-Fobke. Früher hätten die Leute wenigstens noch ein zusätzliches Einkommen durch Pfandsammeln oder Gelegenheitsjobs gehabt. „Aber Gelegenheitsjobs werden kaum noch vergeben und da seit Corona nicht mehr so viele Veranstaltungen stattfinden, gibt es auch weniger Pfandflaschen.“

Auch Gespräche helfen – Der Verein „Flüchtlinge und wir e.V.“ hat nach wie vor alle Hände voll zu tun. Im November wurden zahlreiche Geflüchtete aus der Ukraine in der Herrenberger Mehrzweckhalle untergebracht und stehen nun vor der Frage, wie es mit ihnen weitergeht. „Flüchtlinge und wir“ unterstützt die Menschen durch Gespräche und verschiedene Hilfsangebote, kann jedoch nicht alle Schwierigkeiten aus dem Weg räumen. „Die Menschen haben mit vielen Problemen zu kämpfen und müssen gleichzeitig ihre Kriegstraumata verarbeiten“, erklärt der Vereinsvorsitzende Uwe Kopf. Dazu kommt die finanziell schwierige Lage. Die neuen Geflüchteten aus der Ukraine werden zwar direkt ans Jobcenter vermittelt, wo sie einen Antrag auf Bürgergeld stellen können. „Mit diesem Geld müssen sie dann aber erstmal auskommen, was nicht immer so einfach ist, weil die Lebenserhaltungskosten immer höher werden“, sagt Uwe Kopf. „Viele sind deshalb auf Angebote wie den Tafelladen angewiesen, was aber auch gerne genutzt wird.“

Sich etwas leisten können – Der Diakonieladen Herrenberg bietet seinen Kunden die Gelegenheit, zu kleinen Preisen Bekleidung, Haushaltsgegenstände und Möbel zu erwerben. Ob der Zulauf durch die Krisen größer geworden ist, kann Geschäftsführerin Edelgard Kienzle nicht genau sagen, da der Laden vor kurzem erst vom Schießtäle in die Spitalgasse umgezogen ist. „Dort ist das Kundenaufkommen allein vom Standort her größer, aber ich denke trotzdem, dass der Bedarf an günstigeren Produkten allgemein gestiegen ist“, sagt sie. Da sich das Angebot des Diakonieladens nicht nur an Menschen mit geringem Einkommen richtet, sei der Kundenstamm nach wie vor bunt gemischt. Wie viele Menschen im Diakonieladen einkaufen, um Geld zu sparen, lasse sich also nicht sagen. „Den meisten sozial schwächeren Leuten sieht man die Armut ja nicht unbedingt an“, so Edelgard Kienzle. „Aber viele sind froh, dass es unseren Laden gibt, weil sich hier jeder auch mal etwas Schönes leisten kann.“