Das Rudolf als Cocktailbar eröffnet
Wie ein Wächterbau am Stadteingang
Es war ein langer Weg von der Idee bis zur Eröffnung. Seit vergangener Woche ist Herrenberg nun um eine lohnende gastronomische Adresse reicher, das Warten darauf wird sich gelohnt haben. Rudolf nennt sich die Cocktailbar, die auch Restaurant ist, und wer von Nufringen kommend in die Altstadt fährt, wird sie nicht übersehen. Sie befindet sich im Erdgeschoss des Seecube, eines modernen, mit dunklem Holz verkleideten Baus nach einem Entwurf von Michael Grüninger, in dem der Herrenberger Architekt sich aber direkt auch auf historisch markante Bauten des Herrenberger Stadtbildes bezieht.
Als die Stadt vor einigen Jahren das damals noch mit einem alten Wohnhaus und einer Art „Garagenwerkstättle“ bebaute Grundstück an der Kreuzung Ecke See-/Benzstraße direkt neben dem Nufringer Tor erwarb, schrieb sie einen kombinierten Investoren- und Architektenwettbewerb aus. Michael Grüninger reichte einen Entwurf ein, bei der Vorstellung im Januar 2016 in der Alten Turnhalle – also gleich vis-à-vis des neu zu bebauenden Grundstücks – war er der Letzte in der Reihenfolge der Präsentationen. Seine Idee, ein Objekt zu errichten, das wie ein Wächterbau am Eingang zur Stadt eine Verbindung zur städtischen Geschichte wirken sollte und inspiriert war von der kubistischen Form des Haagtors, erhielt den Zuschlag.
Doch dann begann, wie Grüninger es heute nennt, ein „baurechtliches Martyrium“. „Für dieses Grundstück und die Absicht, darauf ein Gebäude für eine gewerbliche Nutzung zu errichten, gab es damals noch keinen gültigen Bebauungsplan“, fasst der Bauherr das Startkapitel zusammen. Grüninger begann trotzdem mit der detaillierteren Ausarbeitung der Baupläne und entschied 2020, die im Erdgeschoss befindliche Fläche als Bar realisieren zu wollen. „Das war eigentlich schon immer mal ein Traum von mir“, merkt er dazu an. Gleichwohl bedeutete dies, eine Nutzungsänderung zu beantragen. Als theoretisch dann mit den Ausschreibungen für den Rohbau begonnen werden konnte, waren allerdings keine geeigneten Handwerker verfügbar. Der Baustart verzögerte sich dadurch bis ins Frühjahr 2022. Besonders dabei: Wie schon bei der Errichtung des Nufringer Tors war aufgrund des grundwasserreichen Untergrunds eine Spezialgründung notwendig. „Das Gebäude steht jetzt auf 48 Betonpfählen, die acht Meter tief reichen. Wir haben quasi auf eine Schlammpfütze gebaut, aber das war uns ja von Beginn an bewusst“, sagt Michael Grüninger.
Der Rohbau mit seinen vier sichtbaren Stockwerken war bis März 2023 errichtet. Grüninger hat dabei statt vorgefertigter Betonwände auf Ortbeton gesetzt, jede hochgezogene Wand also ganz klassisch verschalen lassen, um so auch der Massivität eines Turmes Rechnung zu tragen. In der Außenansicht ist das Gebäude mit einer dunkel lasierten Holzverschalung verkleidet. „Im Wettbewerbsentwurf hatte ich noch mit einem Sichtziegelmauerwerk geplant, das wäre mir aber aus städtebaulicher Sicht zu austauschbar gewesen und hätte im Umgebungsbild und dem Zusammenspiel insbesondere der Alten Turnhalle nicht ganz die beabsichtige Aussagekraft gehabt“, erläutert Grüninger. Raffiniert an der nun deutlich zeitloseren modernen Fassadengestaltung ist nun zum einen, dass sich diese je nach Tageslicht, insbesondere bei Sonnenschein, auf besondere Weise farblich variiert. Zum anderen verfügt das Gebäude nur über wenige, dafür sehr großflächige Fensteröffnungen, versehen zudem mit einer angeschrägten Laibung. Diese stehen für den Durchgang eines Stadttores. Kleinere Fenster sind von außen durch die Holzlattenverkleidung hingegen gar nicht erst sichtbar, erfüllen aber nach innen die Funktion des Lüftens. Dass man hie und da den für nichttragende Wände verbauten Bimsstein in seiner rauen Form unvertäfelt sieht – auch dies erfolgte bewusst. „Frei nach der Schule von Carlo Scarpa, einem italienischen Architekten, der gerne auf den Kontrast von Neuem und Altem setzte“, wie Grüninger betont.
Was das Rudolf betrifft, so hat es seinen Namen in Erinnerung an Michael Grüningers Großvater, der früher in Bondorf eine Schreinerwerkstatt betrieb und in dessen Fußstapfen später auch sein Enkel trat, bevor er sich für den Beruf des Architekten entschied. „Von mir kamen auch die Pläne für die Möbel und den gesamten Innenausbau im Rudolf. Man kann sagen, bis auf den Statiker habe ich die gesamten Fachplanungen zusammen mit den ausführenden Handwerkern selbst übernehmen können“, sagt Michael Grüninger. Inspiriert vom bekannten japanischen Architekten Tadao Andō wurde in der Raumgeometrie auf Ecken verzichtet und stattdessen auf weiche, gerundete Formen gesetzt, was auch für die Tische gilt. Platz nehmen kann man auf Barhockern, geflochtenen Stühlen, Loungemöbeln und Sitzkissen im gestuften Bereich. Im Sommer wird außerdem ein kleiner Hortus Conclusus (geschlossener Garten) zum Verweilen einladen. „Allerdings ohne römischen Springbrunnen“, wie Grüninger schmunzelnd anmerkt.
Im Keller steht
eine Ice-Factory
Fotostrecke
Das Rudolf selbst versteht sich in seiner Konzeption als Bar ebenso wie als Restaurant. Für die Cocktails wurde eigens eine Ice-Factory im Keller für hochwertige Eiswürfel, die über die Länge des Genusses die Kälte bewahren, aber nicht gleich zusammenschmelzen, installiert. Die beiden Barkeeper, zu denen auch Grüningers Sohn Tim zählt, waren zuletzt eigens noch bei Workshops der European Bar-Tender School in Berlin. Insgesamt verfügt das Rudolf zum Start über 17 Kräfte in Küche und Service. Und sie stehen – vom Koch bis zum Servierer – je nach Bedarf auch bereit, wenn in den Stockwerken darüber das Ludwig-Loft mit seinen 180 Quadratmetern für Events, Feiern und Empfänge gebucht wird. Ein erster Kochkurs für zwölf Personen fand bereits statt. Was die Besucher dieser Etagen dann mitnehmen können, sind Richtung Schlossberg hinaus auch besondere Blicke in Richtung Haagtor, Pulverturm und Stiftskirche. Man ist im Seecube der Stadt und seiner Geschichte also sehr nah.